Die Geschichte des Tagfahrlichts am Fahrrad begann in Deutschland 2010. Damals stattete Lichtspezialist Busch & Müller seine beiden Dynamoscheinwerfer „IQ Fly“ und „Cyo“ mit dieser Funktion aus, damit sie auch tagsüber für mehr Sichtbarkeit sorgen. Zum Hintergrund: Das wichtige und vorgeschriebene Abblendlicht darf bei Dämmerung und Dunkelheit die sogenannte Hell-Dunkel-Grenze nicht überschreiten. Die Lichtstreuung muss also klar auf einen bestimmten Bereich begrenzt sein, um entgegenkommende Verkehrsteilnehmende nicht zu blenden. Bei Tagfahrlicht ist dies hingegen nicht der Fall, die Strahlung des Lichts geht über die Hell-Dunkel-Grenze hinaus. Die Leuchtstärke des Tagfahrlichts ist darum auf maximal zwölf Lux reglementiert, was der Leuchtkraft beispielsweise eines Traktor-Tagfahrlichts entspricht. Diese gesetzliche Regelung ist seit 2019 auch offiziell in der Straßenverkehrszulassungs-Ordnung (StVZO) verankert und schafft Klarheit über die Nutzung des Tagfahrlichts. Im Tagmodus leuchten die Signal-LEDs mit Höchstleistung, der Hauptscheinwerfer hingegen mit gedimmter Helligkeit. Im Nachtmodus ist es umgekehrt: Der Hauptscheinwerfer leistet Höchstleistung, die Signal-LEDs sind abgeschaltet oder gedimmt, um keine starke Blendwirkung zu erzeugen. Gesteuert wird automatisch über Fotosensoren. Das hat auch für Radfahrer:innen einen Vorteil, wie Sebastian Feßen-Fallsehr vom Lichthersteller Busch & Müller meint: „Da das Abblendlicht durch die Hell-Dunkel-Grenze nach oben reglementiert ist, drehen viele Radfahrer:innen für eine bessere Sichtbarkeit auch tagsüber den Scheinwerfer zu stark nach oben, was den Gegenverkehr blendet und nicht erlaubt ist. Durch besseres Tagfahrlicht wird das aus meiner Sicht hinfällig.“
Modische, integrierte Lösungen kommen
Neben dem klassischen Scheinwerfer haben sich mittlerweile auch interessante Alternativen entwickelt. Fahrradhersteller Koga nutzt bei einigen seiner City-Modelle ein hauseigenes Light-Design-Konzept. „Dabei ist ein LED-Strahler in Form einer Steuerrohrbeleuchtung in den Rahmen integriert und leuchtet als Tagfahrlicht. Für das Abblendlicht ist ein gängiger Scheinwerfer verbaut. Das System wechselt je nach Licht automatisch zwischen den beiden Funktionen“, erklärt Anke Namendorf, Brand Managerin DACH für Koga.
Studie spricht von mehr Sicherheit
Erhöht ein Tagfahrlicht aber wirklich die Sicherheit für Radfahrende? Laut einer dänischen Studie wird das Unfallrisiko mit Verletzung der Radfahrenden dank Tagfahrlicht um 19 Prozent reduziert. Allerdings wurde die Studie bereits 2004 und 2005 mit einer Gruppe von 3.845 Radfahrenden in Odense durchgeführt. Durch den Fokus auf eine Ortschaft ist die Übertragbarkeit der Studie zwar begrenzt, der positive Effekt des Tagfahrlichts innerhalb des Studiendesigns aber eindeutig – und es hat sich seit 2005 einiges beim Thema Beleuchtung getan. Es werden auch immer wieder Stimmen laut, die Gefahren für Radfahrende durch den Mangel an Tagfahrlicht sehen, weil sie im Verkehrsmix schlechter wahrgenommen würden. Aktuelle Studien dazu gibt es allerdings nicht. Die Gesetzesänderung von 2019 gilt deshalb als wichtiger Schritt für die Gleichstellung der Radfahrenden im Verkehrsmix. „Die Folge ist besseres Gesehenwerden. Die Gesetzesänderung hat uns einen erheblichen Schritt weiter nach vorn gebracht. Zuvor war Tagfahrlicht an Fahrrädern und E‑Bikes auf maximal zwei Lux reglementiert. Das hatte keinen großen Effekt“, sagt Feßen-Fallsehr. Eine internationale Vorreiterrolle bei dem Thema hat im letzten Jahr die Schweiz eingenommen, wie Anja Knaus vom E‑Bike-Hersteller Flyer erklärt: „Seit 1. April 2022 müssen E‑Bikes und S‑Pedelecs in der Schweiz mit einem Tagfahrlicht ausgerüstet sein.“
S‑Pedelecs sind noch Ausnahme
In Deutschland gibt es hingegen für Autos, Fahrräder oder E‑Bikes keine Tagfahrlichtpflicht, sehr wohl aber eine generelle Lichtpflicht für Motorräder auch bei Tag, um die Sichtbarkeit trotz der schlanken Silhouette zu erhöhen. Das gilt ebenso für S‑Pedelecs, denn diese sind in Deutschland als Kleinkrafträder der Klasse L1e‑b eingestuft. „S-Pedelec-Nutzer:innen müssen verpflichtend auch bei Tag mit Licht fahren“, bestätigt Julia Werling vom E‑Bike-Hersteller Riese & Müller. Aber auch an E‑Bikes und Fahrrädern findet Tagfahrlicht eine wachsende Akzeptanz, weil auch immer mehr Räder mit der Option auf den Markt kommen: „Wir verbauen mittlerweile bei Rädern mit festinstallierter Lichtanlage fast ausschließlich Scheinwerfer mit Tagfahrlicht. Wir sehen das als wichtiges Sicherheits-Feature“, sagt beispielsweise Jacob von Hacht vom Fahrradhersteller Stevens. Die Sichtbarkeit für Radfahrende zu erhöhen, ist auch ein Anliegen der beiden ehemaligen Radprofis Marcel Kittel und Tony Martin. Bei ihrer neuen Kinderradmarke Li:on steht das Thema Sichtbarkeit im Fokus. Die integrierte Lichtanlage verfügt über Tagfahrlicht, was die Wahrnehmbarkeit des Bikes und somit auch des Kindes erhöht. „Sichtbarkeit auf dem Rad ist gerade morgens enorm wichtig, um bei diffusen Lichtverhältnissen für einen sicheren Schulweg zu sorgen. Mit unseren Bikes wollen wir dafür sorgen, dass Kinder besser gesehen werden und sich beim Radfahren sicherer fühlen. Tagfahrlicht ist dabei ein wesentlicher Punkt“, sagt Kittel. Das Licht an den Li:on-Bikes wird mit einem eigenen Akku betrieben, was bislang eine Ausnahme darstellt, denn Tagfahrlicht ist in der Regel an Rädern mit Nabendynamo oder an Elektrorädern zu finden, an denen es durch den E‑Bike-Akku betrieben wird.
Tagfahrlicht bald bei Akku-Leuchten?
Der Grund: Akku-Leuchten müssen laut Gesetz am Tag nicht mitgeführt werden. Deshalb war es bislang nicht nötig, die Lichter mit der Funktion auszustatten. Allerdings gibt es mittlerweile einige hochwertige Akku-Leuchten, die bereits über Tagfahrlicht verfügen. „Das ist ein spannendes Thema, da Akku-Leuchten meist an sportlichen Rädern genutzt werden und die Nutzer:innen eigentlich am Tag gerne das Licht aus Gewichtsgründen zu Hause lassen. Wenn man sein Mountain- und Gravelbike aber für den Arbeitsweg nutzt, macht es absolut Sinn, auch ein Tagfahrlicht zu haben. Wir beobachten deshalb den Markt und werden schauen, ob wir unsere Produkte anpassen“, so Feßen-Fallsehr.