Wunschrad durch passendes Rad ersetzen
Dass aber nicht immer das Wunschrad auch am Wunschort ist, weiß Anja Kallenbach aus dem täglichen Business. Die Miss Germany 2021 betreibt einen Fahrradladen in Thüringen und spricht für viele Kolleg:innen: „Natürlich freuen wir uns über die rasant steigenden Umsatzzahlen der letzten Jahre. Aber man muss auch sagen: Kund:innen, die mit speziellen Modellwünschen zu uns kommen, müssen wir teilweise versuchen, mit anderen Modellen zufriedenzustellen.“ Die Lieferzeiten bei so manchem Wunschrad liegen bei sechs bis zwölf Monaten. Ihr Wunsch deshalb: Ein überregionaler Austausch von Fachhändler:innen, um die Wünsche der Kund:innen bestmöglich zu erfüllen. „Wir verkaufen E‑Bikes und Mountainbikes, Gravelbikes sind bei uns hingegen Ladenhüter. In anderen Regionen schaut das anders aus. Da könne man aktiv austauschen“, erklärt Kallenbach.
ieferzeiten transparent machen
Ein solches Netzwerk bietet beispielsweise der Verbund Service und Fahrrad (VSF). Vorstandsmitglied und Fachhändlerin Sandra Appel bestätigt die Bereitschaft der teilnehmenden Fachhändler:innen, Räder gegenseitig auszutauschen. Gerade mit Hinblick auf die längeren Lieferzeiten ein wichtiges Tool. Jedoch gelte es, einzuschränken: Viele Angaben zu Lieferzeiten beziehen sich bereits auf das Modelljahr 2023, das für die aktuelle Saison noch nicht relevant ist. „Solche Informationen müssen für Endverbraucher:innen transparent gemacht werden“, so Müsse, der eine Online-Verfügbarkeitsprüfung von Rädern anregt.
Hersteller kämpfen gegen diverse Probleme
Die längeren Lieferzeiten liegen an diversen Problemen, mit denen die Hersteller aktuell zu kämpfen haben: Steigende Container- und Rohstoffpreise, geschlossene Produktionsstätten und Chipmangel sind dabei nur einige Themen. Davon sind sogar Hersteller betroffen, bei denen man das auf den ersten Blick nicht vermuten würde. Beim Lichtspezialisten Busch & Müller konnten 60.000 Scheinwerfer nicht fertiggestellt werden, da ein Elektronikteil nicht lieferbar war. „Es fehlte zwar nur ein kleines Teil, aber die Produktion des gesamten Produktes stand still”, so Marketingmanager Sebastian Göttling. Kleinteile sind es auch oft, die die Fertigstellung des ganzen Rades blockieren. Burkhard Stork, Geschäftsführer beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), sieht die Fahrradbranche deshalb weiterhin vor einer herausfordernden Situation, die laut seiner Ansicht mindestens zwei Jahre anhalten wird. Er nimmt deshalb die Fahrradindustrie in die Pflicht: „Die Nachfrage ist fantastisch. Wir müssen sie bedienen.“
Mehr Produktion in Europa?
Ein wichtiger Aspekt wird in Zukunft eine resiliente Lieferkette sein. Hierfür wird immer wieder eine stärkere Produktion in Europa gefordert. Für Stork zwar ein wichtiger Punkt, allerdings keine Sofortlösung. Der E‑Bike-Hersteller Riese & Müller arbeitet intensiv an diesem Thema. Alexander Eilhauer, Head of Supply Chain & Purchasing, weiß aber auch, dass man nicht komplett auf den asiatischen Markt verzichtet kann. Viele Komponenten werden auch weiterhin in Asien gefertigt, Alternativen in Europa sind jedoch interessant. „Wenn wir als Industrie eine Rolle spielen wollen, müssen alle Marktteilnehmer ihre Leistung erhöhen und wir müssen gemeinsam daran arbeiten, neue Player in den Markt zu bekommen“, sagt Eilhauer und ergänzt: „Wir sind gar nicht so schlecht. Automobile gibt es im Moment auch nicht wie Sand am Meer.“
Lagerplätze sind rar
Die ständig veränderten Rahmenbedingungen brauchen jedoch auch Anpassungen in den einzelnen Unternehmen. „Wir stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen und müssen sicherstellen, dass wir das richtige Werkzeug zur richtigen Zeit haben“, erklärt Markus Krill, Geschäftsführer beim Anhängerspezialisten Croozer. Aktuell suche er für sein Unternehmen höhere Lagerkapazität, finde aber keine passenden Lagerplätze. Ein größeres Lager binde laut Krill allerdings auch mehr Kapital. Ein Problem, das auch viele Fahrradhändler:innen kennen, wenn sie vor allem hochpreisige E‑Bikes auf Lager halten wollen oder auch Werkstattteile bevorraten müssen.
Werkstattbereich bekommt kaum Teile
Gerade Verschleißteile wie Bremsen, Ketten oder Schaltungskomponenten haben als Ersatz- oder Reparaturprodukt aktuell lange Lieferzeiten. Hinzu kommt, dass es eine hohe Produktvielfalt gibt und Nutzer:innen genau auf ein bestimmtes Teil angewiesen sind, damit das Rad als Ganzes funktioniert. „Alle Komponenten auf Lager zu haben, ist unmöglich und wir kommen an unsere Grenzen. Dabei müssen wir doch die, die radfahren wollen, auch auf dem Fahrrad halten, um die Ziele der Verkehrswende zu erreichen“, sagt Sandra Appel. Hinzu kommt, dass viele ältere Komponenten auslaufen und dann nicht mehr oder nur noch schwer als Ersatz erhältlich sind. „Es ist zu vergleichen mit einem Betriebssystem beim Computer: Irgendwann wird der Support eingestellt“, so Jörg Müsse, der diese Entwicklung als bedenklich bezeichnet.
Obacht bei Internetkäufen
Die Komponentenknappheit bei den Reparaturprodukten lässt viele Radfahrende deshalb im Internet stöbern. Das wiederum ruft Kriminelle auf den Plan, die mit Fake-Shops und gefälschten Markenprodukten versuchen, Profit zu erwirtschaften. Für den Laien ist das meist kaum erkennbar. „Es ist zwar noch kein großes Thema, es wird sich in Zukunft aber verschärfen“, befürchtet André Joffroy vom Distributeur Trail.camp, der u. a. die Getriebenaben des norwegischen Herstellers Kindernay im Angebot hat.